Gedanken

Veröffentlicht am 16. Juni 2013

„Ich bin in der Welt, die Welt ist in mir.“ (DRS 1990)

DRS-Künstlerbrief, Juni 2013

Philosophie habe ich nicht studiert, auch die Theologie nicht. Meine Lehrstube ist von jeher die Natur gewesen, das „Drinsein“ in ihr, als kleiner Teil davon, als ein kleines „Menschlein“ in dem uns immer neu in Erstaunen setzenden großen Universum.

Kunst studierte ich in Leipzig in den aufregenden 60-er Jahren. Dort geschah vieles, was mich zu einem kritischen Menschen heranwachsen ließ. Doch das wäre ein weiteres Kapitel.

Jetzt möchte ich ein wenig mein Verhältnis zur Welt erklären, in der ich als Gast lebe. Ich bin sehr glücklich und froh, daß mich meine Eltern frühzeitig, ich war drei oder vier Jahre alt, auf die Wunder um mich herum aufmerksam machten. Ich höre noch meinen Vater sagen: „Schau, wer hat der Blume gesagt, wie sie auszusehen hat; wer hat ihr gesagt, wann sie blühen oder welken soll?“ Eine Antwort gab’s nicht. Nur das unendliche Staunen, das fast kindliche Staunen dieses damals 60-jährigen klugen Mannes. So alt war mein Vater, als er mich „einweihte“ in die Wunder des Lebens um uns. Er war kein Kirchenchrist, so wie ich auch keiner bin. Aber das Staunen, die Ehrfurcht vor dem Leben, diese Demut vor einer Schöpfung sind für mich Ausdruck tiefer Religiosität. Wenn ich in meinem nun schon sehr langen Leben durch viele Erlebnisse zu der Überzeugung gekommen bin, daß die Welt auch in mir ist, so wie ich in ihr bin, so erfüllt mich dieses Einssein mit allem mit tiefen Glücksgefühl, und das gibt mir die tägliche Kraft zum Arbeiten.

Die Bitte um Kraft und Energie, das Dankbarsein dafür, das Danken in Gedanken (wie kommt eigentlich dieses Wort zustande?) einer unbekannten Allmacht gegenüber, ich benenne sie „Kosmische Intelligenz“, macht mich religiös.

Die immer weiter fortschreitende Wissenschaft, die den Zauberlehrling aus den Augen verloren hat (wird das Gedicht eigentlich in den Schulen noch gelehrt?), gibt uns auf vielen Gebieten, z.B. in der Quantenphysik, auch Quantenphilosophie schon benannt, Denkanstöße, die für die Religionen weltweit von Bedeutung wären. Nur wird aus Ängstlichkeit , weil an gewissen Grundfesten gerüttelt werden könnte, nicht öffentlich darüber diskutiert. Es ist schon interessant zu wissen, daß in den Vatikan ab und zu hochkarätige Wissenschaftler, Nobelpreisträger zumeist, für interne Gespräche mit Kirchenobersten geladen werden. Ja, alles sollte doch nicht immer an die Öffentlichkeit kommen, - das Chaos in der Welt würde noch größer.

Für mich ist es eine verrückte Vorstellung und eine schöne zugleich, wenn ich mir vorstelle, daß die kleinen, kleinen Teilchen, die geheimnisvollen Quanten vielleicht?, durch jeden von uns, durch jede Untertasse, durch jeden Regenwurm, durch jede Taubenfeder, durch jede Gewehrkugel jagen, immer ängstlich darauf bedacht, nicht entdeckt zu werden, sich verwandelnd einmal in Teilchen, einmal in Wellen, ja, gar nicht gepackt werden wollen, diese raffinierten Biester.

Ich finde es toll, daß ich dadurch ein wenig DU bin und DU ICH. Da werden doch Feindbilder brüchig. Damit muß auch Mister Kurzweil fertigwerden in Silicon Valley, wenn er die Roboterarmee schafft, die ja schon existiert, wie er in einem Interview neulich im TV sagte.

Bin ich noch in der Welt, wenn die künstliche Intelligenz uns Menschen liebevoll geleitet und uns alle persönlichen Entscheidungen abnimmt, bis dahingehend, ob wir auf’s „Örtchen“ gehen wollen oder nicht? Oh, schöne neue grimmige Welt, wohin gerätst du?

Ich glaube, wenn das eintreten sollte, dann will unsere Welt nicht mehr in uns Menschen drin sein, schon gar nicht , wenn wir als Robots im Gleichschritt trippeln. Nach meiner Überzeugung sollten sich die einzelnen Religionen und die Kirchen mehr um den Menschen diesseits kümmern; die Worte „Moral und Ethik“ und „Ehrfurcht vor der Schöpfung“ (egal, wer damals am „Knöpfchen“ oder am „Lehmklümpchen“ saß und das Universum in Bewegung setzte) wieder als Begriffe von größter Bedeutung aussprechen und die junge Generation lehren, daß Computer und Internet nicht die neuen Götter sind.

Nun habe ich als Künstlerin nicht über die Kunst gesprochen. Vielleicht doch etwas dazu: Die Natur als große Lehrmeisterin und größte Künstlerin, denken wir z.B nur an die Kleinstlebewesen, diese kleinen Science-Fiction-Gebilde, die jetzt immer neu entdeckt werden an den sogenannten „Schwarzen Rauchern“ in den tiefsten Tiefen der Weltmeere, in Hitze und in völliger Dunkelheit, - diese Natur, unfaßlich mit ihren Wundern und ihrer Harmonie gab und gibt mir immer wieder den Anstoß für die Arbeit. Ich spiegele die Natur im Bild nicht wider, so wie sie uns in der Realität erscheint. Paul Klee sagte einmal sinngemäß, daß er seine zweite Natur schaffe. Vielleicht mache ich das auch, eben nur etwas anders. Ich möchte immer Denkanstöße geben, sehe vieles hinterfragend, verarbeite Gegenwärtiges, setze meine Gedanken in bildhafte Äußerungen um. Ich glaube, daß der Künstler die Pflicht hat, sich als moralische Instanz in die Gesellschaft einzubringen. Das behagt vielen Politikern nicht, das ist klar. Wir Künstler lassen uns oft von unserer Intuition leiten, da wir mit Phantasie und unabhängig(!) die Welt betrachten, quasi mit Rundumblick und vorausschauend.

Eigentlich sollten alle dankbar sein, daß es uns, diese unverbesserlichen, oft unbequemen Narren gibt.

Ich sagte mal, daß Don Quichote und Franz von Assisi ein wenig in mir stecken. Sie müssen’s ja sein, wenn die Welt in mir ist, so wie ich in ihr . . .

 

Nachwort:

Brauchen Sie, besser wir, die Kunst?
Ja, Sie öffnet uns allen die Augen ein bißchen mehr und bringt unsere Gehirnzellen in Schwung, wenn wir uns an ihr, der Kunst, erfreuen oder uns ärgern über die sogenannte Kunst, die auf dem internationalen Kunstmarkt durch Spekulanten und Geldwäscher zur Aktie geworden ist und Millionenbeträge bei Auktionen erzielt und morgen wieder vergessen ist. Kunst muß nicht sein. Kunst ist.

Juni 2013

D. Ranft-Schinke